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What’s up
Vor knapp 8 Jahren griffen die USA Afghanistan an, um die angeblichen
Drahtzieher und Verantwortlichen der Anschläge des 11. September 2001 in Washington und New York zu bestrafen. Osama bin Laden und weitere angebliche Al Kaida Führungskader waren neben Mullah Omar und anderen
Talibanführer oberstes Ziel. So zumindest die offizielle Schreibweise der US-Regierung. Mit der Vernichtung des Taliban-Regimes sollte ein über zwanzigjähriger Bürgerkrieg ein für alle Mal beendet werden. Demokratie
nach westlicher Prägung, Frauenrechte, Freiheit und vor allem ein störungsfreier Handel und Transport von Öl und Gas sollte Einzug halten.
Die BRD beteiligte sich an diesem Aggressionskrieg vor allem über die
Bundeswehrsoldaten (BW), die im Zusammenhang mit der NATO-Operation „Enduring Freedom“, bereitgestellt wurden. Ca. 100 KSK (Kommando Spezialkräfte) BW-Soldaten beteiligten sich auch direkt an den Kampfhandlungen.
Bis zu 3.700 BW-Soldaten bewachen die US-Militäreinrichtungen in der BRD, weitere 2 bis 3.000 waren/sind in Kuwait, Dschibuti und Kenia stationiert oder patrouillieren am Horn von Afrika.
Dieser Krieg, der gerade mal zwei Monate dauerte und von den USA und
ihren westlichen Verbündeten hauptsächlich aus der Luft geführt wurde (für den Bodenkrieg waren die Drogen-Warlords der Nordallianz zuständig), kostete laut den Recherchen des US-Professors Marc Herold zwischen
3.115 und 3.587 afghanischen Zivilisten das Leben. Mehr Tote als die Anschläge vom 11. September 2001 gefordert hatten. Laut Stratfor (8/02), einem privaten US-Nachrichtendienst für die Wirtschaft sind im
Afghanistankrieg 42 US-Soldaten getötet und weitere 350 verletzt worden. Zudem würden noch etliche US-Soldaten vermisst. Dazu kommen noch Hunderte von toten Talibankämpfern und Kämpfern der Nordallianz, sowie wenige
getötete Soldaten anderer westlichen Ländern, die auf Seiten der USA an dem Aggressionskrieg beteiligt haben.
Quelle: - Icasualties
»Der Krieg in Afghanistan stockt, sagt General Myers«, titelte die Washington Post am 8.
November 2002 unter Berufung auf den höchsten Offizier der US-Streitkräfte, den Vorsitzenden der Vereinigten Stabschefs General Richard B. Myers. »Um ehrlich zu sein,
haben wir dort ein bisschen an Schwung verloren«, hatte Myers zugegeben. Aber es ist nicht nur Schwung, den die USA in Afghanistan verloren haben, auch ihre offiziellen Kriegsgründe
sind ihnen nicht mehr wichtig. So schrieb „Der Spiegel“ am 15.02.03 „Nach Informationen westlicher Geheimdienste pendelt Bin Laden im zerklüfteten Grenzgebiet zwischen Pakistan
und Afghanistan. Ihn "tot oder lebendig" (US-Präsident George W. Bush) zu fangen, vermutet die Bundesregierung, habe für Washington wegen des geplanten Feldzugs gegen Saddam
Husseins Irak "keine Priorität" mehr.“ Zwei Jahres nach den Anschlägen vom 11. September 2001 ist die Suche nach Bin Laden auf der Prioritätenliste der USA weit nach hinten
gerutscht, es schein „plötzlich nicht mehr so wichtig, ob der Chef des El Kaida-Netzwerkes gefasst wird oder nicht“ (Berliner Zeitung 11.09.03).
Anlässlich seines Besuches in Kabul am 1. Mai 2003 hatte US-Verteidigungsminister Donald
Rumsfeld die militärische Operation »Enduring Freedom« in Afghanistan als glorreichen Sieg bezeichnet und als endgültig beendet erklärt. Jetzt ginge es nur noch um die
»Stabilisierung«, sagte Rumsfeld, der sich »über die Veränderungen in Kabul beeindruckt« zeigte. Obwohl seit Beendigung der großen Kampfhandlungen in Afghanistan inzwischen 30
US-Soldaten bei Angriffen von Taliban- und anderen Kämpfern ums Leben gekommen sind. Und dies, obwohl die US-Streitkräfte fast überall zuerst ihre afghanischen Verbündeten
vorschicken, was die vielen schweren Kämpfe vor allem im Grenzgebiet zu Pakistan mit duzenden Toten besten dokumentieren. So gabes im Juni 2003 eine einzelne Kampfhandlung
im Südosten Afghanistans mit über 50 Toten auf Seiten der afghanischen Armee und Taliban- und anderen Kämpfern.
Laut Frankfurter Rundschau vom 25.8.03 geben die USA allein elf Milliarden Dollar in diesem
Jahr die Operation "Enduring Freedom" für ihre dabei eingesetzten 13.000 Soldaten aus. In den Wiederaufbau Afghanistans fließen hingegen lediglich 900 Millionen Dollar. Die
Bush-Administration hatte im Frühjahr sogar vergessen, in den Haushalt 2004 weitere Mittel für den Wiederaufbau einzuplanen. Jetzt soll die Finanzhilfe auf 1,8 Milliarden Dollar
verdoppelt werden, wie die New York Times von einem hohen US-Beamten erfuhr. Erst vor kurzem hatte eine Studie der Rand Corporation offenbart, dass in Bosnien pro Bewohner 100
Mal mehr Soldaten zur Friedenssicherung eingesetzt wurden als in Afghanistan. Washington gibt am Hindukusch pro Einwohner eine Finanzhilfe von 52 Dollar, während es nach dem
Kosovo-Krieg 814 Dollar waren und nach dem Bosnien-Krieg 1390 Dollar. Es ist schon sehr auffällig, wie wenig sich die USA noch in Afghanistan engagieren, wie wenig sie sich
anstrengen, die angeblichen Verantwortlichen der Anschläge vom 11. September 2001 zu fassen. 8.000 US-Soldaten sind vor allem im Süden Afghanistans stationiert. Aber diese
Soldaten sind eher aus geostrategischen Gesichtspunkten dort, als zur Friedenssicherung bzw. als Garant für den Aufbau eines demokratischen Staatswesens. Denn weder sind die
Drogen-Warlords der Nordallianz entwaffnet worden, noch sind Frauenrechte durchgesetzt oder der Drogenhandel bekämpft worden.
So lieferten sich aktuell die Milizen von General Raschid Dostum und Atta Mohammed in
Faisabad nahe Masar-i-Scharif schwere Kämpfe mit ca. 80 Toten. Dostum und Atta sind Verbündete der USA aus der Nordallianz, Warlords und Drogenbosse und bestens protegiert
von den USA und Mitglieder in der afghanischen Übergangsregierung. So befehligt Atta das 7. Armeekorps, das relativ identisch mit seiner Miliz ist, während Dostum den Oberbefehl über
das 8. Armeekorps inne hat, was auch so ziemlich seiner Miliz entspricht.
Drogen
Anfang Oktober 2001, vier Tage vor Beginn der
US-amerikanisch-britischen Bomben- und Raketenangriffe auf Afghanistan, hatte Tony Blair mit moralischem Pathos einen zusätzlichen Kriegsgrund genannt: »Afghanistan ist der größte
Drogenhort der Welt. Neunzig Prozent des Heroins, das auf britischen Straßen verkauft wird, stammen von dort. Die Waffen, die die Taliban heute kaufen,
werden bezahlt mit dem Leben junger Briten, die sich Drogen kaufen. Das ist ein weiterer Teil ihres Regimes, das wir zerstören müssen«, erklärte der britische Premier damals. Wenn es
stimmt, das die Taliban, entgegen ihren stetigen Beteuerungen, den Opiumanbau eher gefördert als behindert haben, dann macht es doch trotzdem stutzig, dass Afghanistan erneut
mit 75 Prozent der Weltproduktion einsame Spitze vor Myanmar und Laos ist. 2003 wurde unter den Augen der USA und UNO eine Rekordernte eingefahren. Und mit einer weiteren
massiven Zunahme der afghanischen Drogenproduktion muss gerechnet werden, denn die lokalen Kriegsherren werden in keinster Weise durch die Regierung in Kabul an der
Wiederaufnahme des Drogenanbaus gehindert. Und das I-Tüpfelchen ist die Entscheidung der US-Regierung, Afghanistan wegen dessen Drogenrolle nicht länger mit Sanktionen zu
belegen. Der internationale Handel mit illegalen Drogen repräsentiert einen Jahreswert von schätzungsweise 400 Milliarden Dollar, die in die legalen Finanzströme transferiert werden. In
dieser Größenordnung können nur noch der Waffenhandel und das Ölgeschäft mithalten. Ein teuflisch lukratives Geschäft, an dem sich wenige dumm verdienen.
BRD Beteiligung
Nachdem der Sicherheitsrat der UN am 13.10.2003 die Ausweitung des Isaf-Mandates über
die Hauptstadt Kabul beschlossen hat, ist für Struck der Weg frei ins nordafghanische Kundus. Aber da er leider nicht selbst gehen wird, bedarf es noch eines Beschlusses des
Bundestages (der bei der Rot-Grünen Kriegsfraktion als sicher gilt), damit Ende Oktober bis zu 450 BW-Soldaten dort Dienst leisten können. Sie sollen dort zivile Helfer auch aus
Deutschland schützen. Laut eines Berichtes des deutschen Botschafters in Kabul, erhofft sich die afghanische Übergangsregierung vom BW-Einsatz, dass die BW-Soldaten
„gemeinsam mit der afghanischen Seite die gebotene Härte gegen die sich verfestigenden Drogenstrukturen“ (Berliner Zeitung 14.10.03) zeigen werden. Ein schöner Propagandatrick,
der den angeblichen Willen der afghanischen Übergangsregierung zur Drogenanbaubekämpfung unterstreichen soll. Für die Ausweitung des Isaf-Mandates waren
Beschlüsse der Nato und der UN notwendig, die jetzt beschlossen wurden. Eine der Hauptfragen war das Verhältnis zwischen der Friedensmission Isaf und den andauernden
Kampfhandlungen gegen Taliban, El Kaida und Hekmatyar, die vor allem von den USA und Großbritannien getragen werden. Zudem ist die Frage noch offen, ob fest stationierte
Einheiten oder mobile Soldaten-Teams die bessere Lösung sind. Festgeklopft wurde zunächst die Einrichtung von acht Sicherheitszonen außerhalb Kabuls, die das zerrüttete und
nach wie vor von Kämpfen geplagte Land stabilisieren sollen. In jeder der "Sicherheitsinseln" sollen zwischen 250 und 400 Soldaten stationiert werden. In einer zweiten Phase sollten die
stabilisierten Regionen durch mobile Militäreinheiten verbunden werden. Im Gespräch sind neben Kundus die Orte Herat, Masar-i Scharif und Kandahar. Derzeit arbeiten bereits in vier
Städten Wiederaufbauteams unter dem Schutz amerikanischer, britischer und neuseeländischer Soldaten, allerdings ohne Isaf-Anbindung.
Mit diesem erfolgreichen Vorstoß zur Ausweitung des Isaf-Mandates hat die BRD ihre wichtige Rolle in Afghanistan weiter
betont. So hatte der BW Drei-Sterne-General Norbert van Heyst nicht nur die Führung des Deutsch-Niederländisch en Korps inner, er übernahm auch die Führung der etwa 4.800 Mann starken Isaf-Truppen aus 30
Nationen im Februar 2003 von der Türkei. Das deutsche Kontingent wurde extra für diese Aufgabe von 1.700 auf 2.300 Soldaten aufgestockt. Im
August 2003 hat das Deutsch-Niederländische Korps die Verantwortung für die Isaf Soldaten an die NATO abgegeben, die z. Zt. vom BW Generalleutnant Götz Gliemeroth befehligt
werden. In den vergangenen Monaten waren häufiger Raketen in Richtung des Feldlagers der deutschen Soldaten oder auf das Isaf-Hauptquartier abgefeuert worden, ohne jedoch
jemanden zu verletzen. Bislang starben 13 deutsche Isaf-Soldaten: Vier kamen bei einem Anschlag auf einen BW Konvoi im Juli 2003 ums Leben, sieben im Dezember 2002 bei
einem Absturz eines Hubschraubers und zwei starben vor etwa 1 ½ Jahren bei dem Versuch, eine Rakete zu entschärfen.
Kundus
Der Ort an dem die BW ab Ende Oktober 2003 auch stationiert sein wird, hat eines der
dunkelsten Kapitel des Afghanistankrieges zu bieten. Kundus war die letzte größere Talibanhochburg nachdem Kabul schon kampflos übergeben worden war. Am 25. November
2001, nach heftigen Bombardements durch die US-Luftwaffe kapitulierten die letzten Talibaneinheiten. Die Kapitulationsbedingungen, vereinbart in Anwesenheit von Mitgliedern der
US-Streitkräfte, besagten, dass die Taliban-Kämpfer in ihre Heimatdörfer zurückkehren konnten. Araber und andere ausländische Kämpfer sollten der UN überstellt werden. Auf
afghanischer Seite erfolgte die Kapitulation gegenüber General Dostum. Als die Taliban entwaffnet waren, wurden sie jedoch in stählerne Frachtcontainer gepfercht – je Container
rund 200 Taliban. In der Folge wurden mehr als tausend Taliban-Kämpfer in den Containern zum Gefängnis von Sheberghan überstellt, dabei aber solange in den Behältern gelassen, bis
der größte Teil von ihnen qualvoll erstickt war. Newsweek berichtet unter Berufung auf beteiligte Lkw-Fahrer in ihrer Ausgabe vom 26. August 2002, wie beim Öffnen der Container
im Gefängnis von Sheberghan die Insassen tot „wie die Fische aus Sardinenbüchsen“ herausquollen. Die Insassen der meisten Container waren tot, wenige überlebten, z. B. weil
einzelne Fahrer Löcher in die Stahlwände geschlagen hatten. Die Leichen der Gefangenen wurden in der Wüste bei Dasht-e-Leili in einem Massengrab beigesetzt, das Gelände wurde
direkt danach eingeebnet. Einzelne Quellen berichten auch davon, das hier noch duzende Überlebende Taliban-Kämpfer hingerichtet wurden. Insgesamt wurden auf diese Art rund 1000
Taliban ermordet. Newsweek recherchierte, daß eine Einheit der US Special Forces, das »595-A-Team«, in Dostums Hauptquartier und im Gefängnis Sheberghan präsent war, als die
Container mit den ermordeten bzw. noch lebenden Taliban dort eintrafen. Das US-Blatt deckt auch auf, daß die UN und das Internationale Rote Kreuz (IRK) spätestens seit Januar 2002
von diesem Kriegsverbrechen Kenntnis hatten. Sie berichteten darüber bisher nicht, weil anderenfalls das »politische Gleichgewicht in Afghanistan« durcheinander geraten könnte, so die UN-Vertreter.
Kurz vor der Kapitulation von Kunduz hatte der US-amerikanische Verteidigungsminister
Donald Rumsfeld erklärt: „Ich möchte diese Kämpfer lieber nicht lebend sehen.“ Hatte da jemand diesen Ausspruch als direkte Aufforderung zum Massenmord begriffen?
Bis heute wird gegen keinen der an diesem Kriegsverbrechen beteiligten Verantwortlichen
ermittelt. Weder gegen Dostum, seine verantwortliche Offiziere oder gegen die US Special Forces.
j. berger 16.10.2003
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